Wie viele andere Bundesländer auch, hat Hamburg in den letzten Tagen tätig Solidarität mit Italien geübt, indem eine Zahl an italienischen Corona-Erkrankten in hanseatischen Krankenhausbetten aufgenommen wurde. Diese werden ja zum Glück momentan noch nicht für Hamburger Corona-Erkrankte benötigt.
So sehr diese Solidarität moralisch, ethisch, politisch und menschlich geboten ist, so dringend notwendig ist aber auch eine wirtschaftlich-finanzielle Solidarität mit Italien. Denn auch schon vor der aktuellen Krise war Italien wegen seiner kriselnden Banken und seiner hohen Staatsverschuldung ja eines der finanziell schwächeren Länder innerhalb der Europäischen Union. Wenn jetzt zusätzlich die enormen Kosten der Corona-Krise finanziert werden müssen, dann wäre es völlig unsolidarisch und vor allem uneuropäisch, Italien hierbei allein zu lassen.
Die enormen Ausgaben für die Corona-Krise lassen sich in keinem EU-Land einfach so aus Steuereinnahmen finanzieren; eine weitere staatliche Kreditaufnahme wird in allen EU-Staaten unumgänglich werden. In einer solchen Situation ist es ökonomisch sehr sinnvoll, wenn die Kreditaufnahme nicht durch einzelne Staaten selbst, sondern koordiniert durch einen zentralen Schuldner, nämlich die EU für alle ihre Mitgliedsländer, erfolgte.
Die Vorteile liegen auf der Hand: Ein großer und guter Schuldner wie die EU würde sich mit sogenannten „Corona-Bonds“ (die nach der Bankenkrise von 2008 noch „Euro-Bonds“ genannt wurden) an den Kapitalmärkten wesentlich leichter und billiger verschulden können als einzelne, zumal kleinere oder wirtschaftlich schwächere, Länder. Dies gilt um so mehr, wenn einzelne Länder bereits heute eine so hohe Staatsverschuldung aufweisen, dass sie gegen die Stabilitätskriterien des Maastrichter Vertrages verstoßen – so, wie es bei Italien der Fall ist.
Für viele nordeuropäische Regierungen (incl. der deutschen) kommt aber eine gemeinsame Verschuldung der EU-Staaten eigentlich gar nicht, und wenn überhaupt, dann nur in Frage, wenn auch eine gemeinsame EU-regulierte Haushaltspolitik auf der Ebene der Einzlstaaten eingeführt wird. Solange es diese nicht gäbe, könnten ja ansonsten die Halodris aus dem Süden das ganze mühevoll im Norden verdiente Geld beliebig zum Fenster hinauswerfen. Es gäbe, um es etwas weniger polemisch auszudrücken, keinen Anreiz für die Südeuropäer, eine solide Haushaltspolitik durchzuführen, da entstehende Defizite ja ohnehin automatisch durch dem Norden ausgeglichen würden.
Diese Abwehr-Argumentation des Nordens fußt auf der berechtigten Annahme, dass Staaten wie Italien niemals nennenswerte Teile ihrer finanzpolitischen Souveränität an die EU übertragen würden. Darüber ist man insgeheim froh, denn wenn die EU doch finanzpolitische Hoheitsaufgaben erhielte, müsste man sich ja auch selbst die eigenen (nordeuropäischen) finanzpolitischen Rechte beschneiden lassen. Gleiches Recht für alle.
Noch mehr als vor den südeuropäischen Halodris fürchtet sich mancher nordeuropäische Finanzpolitiker aber vor den Brüsseler Bürokraten, und so ist man insgeheim froh, dass in dieser Lose-Lose-Situation eine Diskussion über eine weitergehende europäische Integration auf dem Feld der Finanzpolitik gar nicht erst geführt wird.
Bis jetzt. Die große finanzielle Not in der aktuellen Krise könnte nämlich Italien (und Spanien, den Rest Südeuropas und übrigens vermutlich bald auch in Osteuropa) zu einem Umdenken bewegen. Im Gegenzug für die dringend benötigte finanzielle Hilfe durch Corona-Bonds könnte man bereit sein, der EU doch ein gewisses Maß an finanzpolitischer Hoheit zuzuweisen. Und wenn Italien (Spanien,…) damit politisch in Vorleistung geht, dann können sich Länder wie Deutschland auf Dauer nicht mehr so kategorisch wie bisher sträuben. In einer Situation, in der allenthalben das Auseinanderdriften der EU befürchtet und an den LKW-Kolonnen an den Grenzen sichtbar wird, könnte so – geschickt eingesetzt – aus einer großen Not doch noch eine europäisch-integrative Tugend gemacht werden.